Zen-Geschichte 5
Der Schafslöwe
Es war einmal eine trächtige Löwin. Sie überfiel eine Schafherde und verletzte sich dabei so unglücklich, dass sie ihr Junges zwar noch auf die Welt bringen konnte, doch dabei verstarb. Das hilflose, verwirrte und schutzlose Löwenjunge weckte das Mitleid einer Schafsmutter, die soeben ihren eigenen Nachwuchs verloren hatte. So nahm die Schafsmutter das Löwenjunge als ihres an, und es wuchs in der Schafherde auf. Es lernte zu essen wie ein Schaf, zu blöken wie ein Schaf, wegzurennen, wenn Gefahr drohte — kurzum, es wuchs heran und wurde erzogen wie ein Schaf. Allerdings wie ein minderwertiges Schaf, denn die anderen bemerkten wohl, dass dieses »Löwenjunge« anders war und spielten ihm oft Streiche oder hänselten es. So war das Löwenjunge ein unglückliches, schüchternes Schaf geworden.
Eines Abends kam der Löwenkönig aus den Bergen herunter. Als die Schafe ihn witterten, blökten sie panisch vor Angst und stoben in wilder Flucht davon. Der Berglöwe sprang mitten unter sie und verursachte dadurch noch grösseres Entsetzen. Aber er interessierte sich überhaupt nicht für die Schafe, sondern setzte nur dem Schafslöwen nach. Er holte ihn bald ein, packte ihn am Nackenfell und schüttelte ihn ein paarmal. Der Schafslöwe war wie gelähmt vor Angst. »Was machst du hier?«, knurrte ihn der Berglöwe an. »Mäh, mäh, mäh, ich bin nur ein kleines schwaches Schaf. Bitte tu mir nichts, sondern lass mich zu meiner Mutter. Mäh, mäh, mäh.« — »Was redest du da für einen Unsinn? Wo ist deine Mutter?« — »Da vorne läuft sie mit der Herde. Mäh, mäh, mäh, bitte lass mich los.« — »Was suchst du hier unter den Schafen? Du, der Sohn des Königs der Tiere?« — »Mäh, mäh, mäh, ich habe Angst.« — »Hör auf zu blöken wie ein Schaf. Du bist kein Schaf. Du bist ein Löwe wie ich« — »Nein, nein, ich bin ein armes kleines Schaf, bitte lass mich wieder zu meiner Mutter.« — »Hör endlich mit dem Unsinn auf. Du bist ein Löwe!« — »Ja, ja, das mag schon sein, aber jetzt lass mich bitte zu meiner Mutter.« Da packte der Löwe den Schafslöwen erneut am Schlafittchen, trug ihn zu einem kleinen See in der Nähe und hielt ihn über das Wasser. »Was siehst du da?« — »Ich sehe überhaupt nichts. Mäh, mäh, mäh.« — »Mach gefälligst die Augen auf!« — »Ich kann immer noch nichts sehen.« — »Dann keuch doch nicht so, du machst ja Wellen, da kannst du nichts sehen. Atme lieber ruhig ein und aus … Gut. Was siehst du?« — »Ich … ich sehe dich doppelt!«– »Beweg mal deinen Kopf nach links und rechts. Noch mal. Was siehst du?« — »Einer der Löwen bewegt sich, der andere nicht!« — »Also?« Der junge Schafslöwe schaute den grossen Berglöwen an, dann schaute er wieder ins Wasser. Dann bewegte er sich wieder etwas, legte den Kopf zur Seite, hob die Pfote, schaute wieder den Berglöwen an, bemerkte jetzt auch, dass das andere Spiegelbild im Wasser grösser war als seines. Und allmählich, obwohl er es anfänglich kaum glauben konnte, erkannte der kleine bisher so ängstliche und schüchterne Schafslöwe, der von den anderen Schafen herumgestossen worden war: »Ich bin ein Löwe. Ich bin frei. Ich bin stark.« Er fing erst zaghaft, dann immer lauter und selbstbewusster an zu brüllen. Und fortan blökte er nie mehr wie ein Schaf, sondern brüllte wie ein Löwe.
Eines Abends kam der Löwenkönig aus den Bergen herunter. Als die Schafe ihn witterten, blökten sie panisch vor Angst und stoben in wilder Flucht davon. Der Berglöwe sprang mitten unter sie und verursachte dadurch noch grösseres Entsetzen. Aber er interessierte sich überhaupt nicht für die Schafe, sondern setzte nur dem Schafslöwen nach. Er holte ihn bald ein, packte ihn am Nackenfell und schüttelte ihn ein paarmal. Der Schafslöwe war wie gelähmt vor Angst. »Was machst du hier?«, knurrte ihn der Berglöwe an. »Mäh, mäh, mäh, ich bin nur ein kleines schwaches Schaf. Bitte tu mir nichts, sondern lass mich zu meiner Mutter. Mäh, mäh, mäh.« — »Was redest du da für einen Unsinn? Wo ist deine Mutter?« — »Da vorne läuft sie mit der Herde. Mäh, mäh, mäh, bitte lass mich los.« — »Was suchst du hier unter den Schafen? Du, der Sohn des Königs der Tiere?« — »Mäh, mäh, mäh, ich habe Angst.« — »Hör auf zu blöken wie ein Schaf. Du bist kein Schaf. Du bist ein Löwe wie ich« — »Nein, nein, ich bin ein armes kleines Schaf, bitte lass mich wieder zu meiner Mutter.« — »Hör endlich mit dem Unsinn auf. Du bist ein Löwe!« — »Ja, ja, das mag schon sein, aber jetzt lass mich bitte zu meiner Mutter.« Da packte der Löwe den Schafslöwen erneut am Schlafittchen, trug ihn zu einem kleinen See in der Nähe und hielt ihn über das Wasser. »Was siehst du da?« — »Ich sehe überhaupt nichts. Mäh, mäh, mäh.« — »Mach gefälligst die Augen auf!« — »Ich kann immer noch nichts sehen.« — »Dann keuch doch nicht so, du machst ja Wellen, da kannst du nichts sehen. Atme lieber ruhig ein und aus … Gut. Was siehst du?« — »Ich … ich sehe dich doppelt!«– »Beweg mal deinen Kopf nach links und rechts. Noch mal. Was siehst du?« — »Einer der Löwen bewegt sich, der andere nicht!« — »Also?« Der junge Schafslöwe schaute den grossen Berglöwen an, dann schaute er wieder ins Wasser. Dann bewegte er sich wieder etwas, legte den Kopf zur Seite, hob die Pfote, schaute wieder den Berglöwen an, bemerkte jetzt auch, dass das andere Spiegelbild im Wasser grösser war als seines. Und allmählich, obwohl er es anfänglich kaum glauben konnte, erkannte der kleine bisher so ängstliche und schüchterne Schafslöwe, der von den anderen Schafen herumgestossen worden war: »Ich bin ein Löwe. Ich bin frei. Ich bin stark.« Er fing erst zaghaft, dann immer lauter und selbstbewusster an zu brüllen. Und fortan blökte er nie mehr wie ein Schaf, sondern brüllte wie ein Löwe.